20.11.2015

Kalkulation von Produktionsaufwand für Zeichentrick und 2D-Animation

Weil das Thema uns recht regelmäßig begegnet, wir immer wieder den Aufwand für verschiedenste Vorhaben schätzen müssen und das Verfahren eigentlich immer sehr ähnlich ist, gibt es hier einen Überblick darüber, wie man ausgehend von einem Textentwurf oder Drehbuch die Produktionsdauer für einen Animationsfilm schätzt. Dabei betrachten wir lediglich technische und organisatorische Aspekte und vernachlässigen inhaltliche oder künstlerische Fragen. Und obwohl jeder Arbeitsschritt im Grunde eine eigene Kunstform ist und mit der entsprechenden Leidenschaft in der Dauer beliebig ausarten kann, versuchen wir unter Annahme einer gewissen Qualifikation und Routine einen pragmatischen Zeitansatz zu finden.

Unabhängig von Umfang und Budget sollte das Ziel bei Projekten immer sein, dass das Ergebnis zeitlich und qualitativ der Spezifikation mindestens entspricht oder sie bestenfalls übertrifft. Dafür muss die Planung der gestellten Aufgabe angemessen sein, um unangenehme Überraschungen, Engpässe und somit Stress für alle Beteiligten zu vermeiden und möglichst vorhersehbare Arbeitsprozesse und Resultate zu ermöglichen.

Selbstverständlich hängen die Parameter der Kalkulation sehr stark vom eigentlichen Inhalt, der Komplexität und Dichte der zu vermittelnden Information - z.B. dem Schnitttempo und dem Detailgrad der Bilder - vom gewählten visuellen Stil sowie von der spezifischen Produktionstechnik und nicht zuletzt der jeweiligen Arbeitsgeschwindigkeit ab. Diese müssen im Vorfeld stets gesondert betrachtet werden. Wir gehen hier von unseren eigenen dokumentierten Erfahrungen aus und nehmen einen durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad an. Was das im Einzelnen heißen kann, ist an unseren veröffentlichten Arbeiten zu begutachten.

Besonderheiten des Animationsfilms

Vorweg seien einige besondere Eigenschaften bei der Produktion von Animationsfilmen angemerkt.

Das Setup, also die produktionsspezifische Vorab-Investition in technische Mittel, den Aufbau von Workflows, die Festlegung von gestalterischen Vorgaben, ist immer recht langwierig, aber einmalig und hängt nur in geringem Maße vom Umfang des Endprodukts ab, sondern vor allem vom Erfahrungsschatz der Beteiligten. Ob also ein kurzer Clip, ein Spielfilm oder eine Serienstaffel hergestellt wird, sind die anfänglichen Fixkosten immer dann ähnlich, wenn die Produkte qualitativ ähnlich sein sollen. Weitere Einflüsse sind vor allem der jeweilige gestalterische Anspruch und die möglichen Einsparungen, die durch geschickt eingerichtete Arbeitsprozesse für langwierigere Vorhaben erzielt werden können.

Des weiteren skaliert die Produktionsdauer von Animationsfilm, vor allem von Zeichentrick, nur linear mit der Laufzeit. Jede zusätzliche Minute ist etwa genauso teuer wie die vorhergehende, weil dafür genauso viel Arbeit verrichtet werden muss. Beispielsweise müssen beim Zeichentrick immer etwa gleich viele komplett neue Bilder pro Sekunde gezeichnet werden. Einsparungen passieren eher auf technologischer und organisatorischer Ebene, die aber erst bei hohem Volumen ihre Wirkung entfalten.

Zuletzt können wie in jedem technischen Prozess bestimmte Arbeitsschritte gut parallelisiert werden, andere nicht. Einige sind recht vorhersehbar, andere nicht. Zu den kritischen Punkten auf dem Produktionsweg gehören naturgemäß vor allem die gestalterischen Aufgaben, die sowohl am wenigsten kalkulierbar sind als auch den Fortschritt am stärksten blockieren können. Dies sollte im Einzelfall bei der Planung berücksichtigt werden.

Ansonsten wird der Aufwand von folgenden Arbeitsschritten bestimmt.

Vorstoppen

Zunächst müssen wir einen Eindruck von der Laufzeit des zu produzierenden Materials gewinnen. Dazu wird der Text vorgestoppt, also im Geiste oder im Rollenspiel der Ablauf mit allen zeitlichen Aspekten wie Dialogen und Bewegungen von Figuren oder Kamera durchgegangen und die Dauer mit einer Stoppuhr gemessen. Für eine Seite Text dauert das wenige Minuten. Sind Erfahrungen mit ähnlichen Projekten vorhanden, kann man den Aufwand hier schon größenordnungsmäßig angeben.

Storyboard

Den Text bricht man nun in visuell sehr einfache, skizzenhafte Storyboards auf, die den gesamten Inhalt schon transportieren. Damit kann man entscheidend den Produktionsaufwand steuern, indem man die Anzahl der Shots1, vor allem der Hintergründe, die Länge und Komplexität von Bewegungsabläufen usw. einstellt. Das geht verhältnismäßig schnell. Für eine Minute unkomplizierten Materials kriegt man das in 2-4h in verantwortungsvoller Weise hin. Und verantwortungsvoll sollte es sein, da Ungenauigkeiten und Fehler im späteren Verlauf deutlich teurer in der Handhabung sind als in einem frühen Stadium.

Aus dem Storyboard kann mit Hilfe der Vorstoppzeiten ein einfaches Animatic angefertigt werden, was etwa 20 Minuten pro Laufzeitminute kostet. Dabei helfen erste Platzhaltertexte und -töne.

Die Metrik aus Shots und Zeiteinheiten ist in der Planung entscheidend aus oben genannten Gründen. Jeder Shot bedarf eines gewissen Setups und einer Herstellungszeit proportional zur Länge. Da wir diese beiden wesentlichen Aspekte wesentlichen Aspekte quantifiziert haben, kann ab diesem Punkt die Kalkulation erst richtig Form annehmen.

Vorproduktion

Anschließend oder parallel bestimmt man den visuellen Stil der Produktion, also wie Figuren und Szenerien konkret aussehen sollen.2 Das ist auch ein technisch relevanter Prozess, weil später alles und insbesondere effizient reproduzierbar sein muss. Dies gilt in erster Linie für Figuren und Objekte, die aus vielen Blickwinkeln zu sehen sind oder von Hand animiert werden sollen.

Allgemein gesagt: Jeder Strich kostet etwas. Wir nennen jeden Informationsträger im Bild ein “Feature” - also z.B. eine Kante am Kinn, eine Ecke in der Augenbraue, ein Bogen im Ohr; alles, was irgendwie eine unterscheidbare Eigenschaft hat. Jedes Feature muss mindestens von Shot zu Shot, schlimmstenfalls von Bild zu Bild übertragen werden, und zwar so, dass der Gesamteindruck immer noch der Vorlage entspricht. Man kann sich leicht ausrechnen, dass ein großer Bogen deutlich einfacher viele Hundert Mal zu wiederholen ist als 20 kleine unterschiedlich lange Zacken. Unter Anderem aus genau diesem Grund besteht Mickey Mouse im Wesentlichen aus einer Handvoll Ovalen.

Wie genau man dabei vorgeht, hängt von der Animationstechnik ab. Der technische Aspekt ist mit etwas Erfahrung im Aufwand vernachlässigbar. Was wirklich viel Zeit kostet und letztlich kaum einzuschätzen ist, ist der gestalterische Aspekt, also die Konstruktion auf die Intention des Textes hin. Ausgehend von einer dem Projekt angemessenen Vorbereitung und Recherche setzen wir beim Bühnenbild ein paar Stunden pro eigenständiges Hintergrund-Motiv (z.B. Orte, Lichtstimmungen, Kameraperspektiven) und beim Charakterdesign mehrere Stunden pro Figur zur Anfertigung von arbeitsfähigen Vorlagen an.

Produktion

Da wir nur den Animationsteil betrachten, nehmen wir eine in Grundzügen vorproduzierte Tonspur an. Zumindest sollten Texte eingesprochen und Schlüsselhandlungen vertont und im Timing eingerichtet sein.

Als erstes legen wir Keyframes an die Tonspur an, damit wir später im langsamen Modus wissen, was wann passiert und ohne Kontext darauf zuarbeiten können. Die Keyframes bauen idealerweise direkt auf dem Production Design auf und werden bei Bedarf um einfache Skizzen erweitert. Diese Bestimmung des visuellen Timings dauert 2-3 Stunden pro 10 Sekunden Material. Mit der neuen Information kann das Animatic erweitert und parallel ggf. am Schnitt gearbeitet werden. Vor der Ausarbeitung müssen Keyframes aber in Endqualität angefertigt werden. Umfang: etwa eine halbe Stunde pro Keyframe.

Ebenfalls auf Grundlage des Production Designs werden die Hintergründe für jeden Shot in Endqualität erstellt, was jeweils von Strichzeichnung über Colorierung bis zur Lichtsetzung ein, zwei Stunden dauert.

Die Keyframe-Interpolation für eine Figur dauert bei 2D-Animation ca. 2 Stunden pro Shot. Ein mehr oder weniger aufwendiges Setup der zu bewegenden Teile ist meistens erforderlich, aber längere Shots und ähnliche Wiederholungen profitieren von der schnellen Reproduzierbarkeit. Handgezeichnet besteht die Vorbereitung meist nur aus dem Anlegen des Hintergrunds und dem Import der Keyframes, und wir setzen 10 Minuten pro Frame an, also bei 12 fps etwa 2 Stunden pro Laufzeitsekunde.

Zum Schluss kommt noch die Lippensynchronisation. Das passiert nach einmaligem Setup für jeden Charakter und jede verwendete Perspektive (je ca. eine Stunde) in etwa 1 Stunde pro Minute Text.

Anschließend wird alles noch im Compositing zusammen gelegt und beispielsweise Kamerabewegung oder bestimmte Effekte hinzugefügt. Hier kann man wieder mit ca. 2 Stunden pro Shot rechnen, je nach Komplexität aber auch deutlich mehr.

Postproduktion

Meistens sind die Ergebnisse nicht völlig fehlerfrei. Es werden also ein bis zwei Korrekturrunden durchlaufen und das überarbeitete Material neu eingepflegt. Wie zeitintensiv das ist, hängt von vielen Faktoren ab, aber ist mit 10% der bisher veranschlagten Produktionszeit realistisch geschätzt. Selbst bei nur geringfügigen Nachbesserungen muss das gesamte Material in Endqualität gerendert werden. Das beansprucht zwar wenig Arbeitszeit, kann aber je nach technischer Ausstattung und Workflow den Abgabetermin erheblich beeinflussen.

Zusammenfassung

Der errechnete Aufwand umfasst nun den handwerklichen Teil der Animationsproduktion. Wie eingangs hervorgehoben kann aber auch die künstlerische Arbeit, die zudem viel Kommunikation erfordert, einen wesentlichen Beitrag zur Produktionsdauer leisten und sollte separat gehandhabt werden. Um die Kalkulation zu vervollständigen, addieren wir noch das Budget für Vertonung, Musikproduktion/-rechte und Endschnitt sowie auf die Summe einen Organisationsanteil von 10% und eine Sicherheit von 10%.

Mit diesem Überblick sollte zumindest eine grobe Schätzung der Produktionskosten eines gegebenen Projekts möglich sein.

  1. Der deutsche Begriff dafür ist “Einstellung”, schränkt die Bedeutung aber historisch auf feste Kamera-Einstellungen ein. Manche sagen dazu auch “Bild”, was aber noch viel ungünstiger ist, da dies in anderen Zusammenhängen ganze Szenen oder nur Einzelbilder bezeichnet. Erstere sind längere Folgen von Shots in einem bestimmten Sinnzusammehang, letztere nennen wir lieber Frames. Ein Shot in unserem Kontext ist eine in der Regel kurze Sequenz von Frames, die ohne Unterbrechung abläuft und im Produktionsprozess einzeln eingerichtet werden muss. 

  2. Man sagt auch “Production Design”, welches den “look & feel” des Ergebnisses bestimmt.